Questions of Style – The Lady Vanishes!

Stefanie Kreuzer

Die Begriffe des Stils als auch der Linie erlauben verschiedene Kontexte und neigen daher zu mannigfaltigen Konnotationen. In den Arbeiten von Jochen Twelker werden sie in unterschiedlichster Art und Weise über das vestimentäre System der Mode auf das visuelle System der Malerei beziehungsweise des Aquarells bezogen – und umgekehrt. Dargestellte, in diesem Fall gemalte und gezeichnete Kleidung, schließt immer auch ein zeichenhaftes Element mit ein und bildet damit eine Einheit von Signifikant und Signifikat. In den Werken des Künstlers meint dies das „Zeichen“ von Kleidung und Welt. Und genau in diesem Sinne nimmt das System der Mode für das Verständnis und die Lektüre der Bilder eine grundlegende Position ein. In ihm wird die konkrete Mannigfaltigkeit, die sich in den Arbeiten fast als Horror vacui präsentiert, als eine Behauptung von Kultur verstanden und über das Bild in Intelligibles transformiert. Das gestreifte Hemd oder die getupfte Bluse werden auf der Leinwand zu einer Wahl, die ein System von „Modesignifikanten“ aufstellt.

Gewöhnlicherweise verbindet sich die Vorstellung von „Mode“, wie man bei einem Blick in zahlreichen Modezeitschriften zweifelsfrei feststellen kann, fast von selbst mit dem Medium der Fotografie. Sie ist es, welche die Leseweise des Betrachters lenkt und somit eine bestimmte Form der Interpretation von Mode beziehungsweise des durch die Mode Präsentierten vorgibt. In der Regel verschwindet in diesem Genre das Subjekt und seine Körperlichkeit hinter den vorgeführten Kleidungsstücken. Gegenteilig hierzu funktionieren die „Portraits“ von Jochen Twelker, in denen erst das Gewahrwerden des Körpers die Mode und damit das Kleidungsstück als solches erkennen läßt. Und über dieses - häufig nur auf den zweiten Blick funktionierende - Verstehen wird der Betrachter nicht nur zum Aufstellen von Hypothesen über die individuellen TrägerInnen der „Portraitserie“ herausgefordert (nicht zuletzt bewußt vom Künstler durch die Titel der Werke geleitet – wie z.B. Naomi), sondern auch zur Schaffung eines gesamten kulturellen Universums. Ironischerweise verkehrt der Künstler dann wiederum dieses Verhältnis – beispielsweise in Rumble in the Bronx -, wenn die wahrgenommenen Portraits, das heißt das vermeintliche Subjekt im Vollzug der Sinnstiftung zur Mode „reduziert“ wird. In diesem Spannungsverhältnis repräsentieren die Arbeiten Twelkers nicht nur das „profane“ Kleidungsstück, sondern darüber hinaus „Welt“, neben einer gesellschaftlichen, sozialen Werteskala auch die Persönlichkeit und Individualität des „Trägers“ im zweifachen Sinne: des Trägers des Kleidungsstückes sowie der Farben, sprich die Leinwand. Die mannigfaltigen „Geschmäcker“, „Moden“ und „Stile“– verstanden als unterschiedliche Leseweisen der Welt – zeigen verschiedene soziale Einflüsse und die kulturellen Annäherungen an dieselbe auf, die Jochen Twelker in seinen Arbeiten mit Linien, Farben, sich wiederholenden Mustern, Streifen und Karos, Punkten und Paisley hart aufeinander treffen lässt.

Daher nehmen wir in den Werken eine enorme farbliche Quantität wahr, einen Rausch an Identität, Gestalt, Stofflichkeit, Maß, Lage, Verteilung und Verbindung. Überladen mit Informationen, verführen sie den Betrachter zu einer Reise, zu einem fast psychologisch-psychodelischen Trip ins farbliche und strukturelle Delirium. Parallel dazu potenzieren die Titel weitere kulturelle Verflechtungen, wenn sie einerseits das kinematografische Wissen des Rezipienten in Chinatown, Short Cuts, Rumble in the Jungle etc. herausfordern oder auf die bewußte Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte in The Bride stripped bare by her bachelors, even beziehungsweise ihrer Theoretisierung im Arbeitstitel der Serie der Massenszenen Ornament und Verbrechen verweisen. Über ein Inventar „modischer“ Varianten, einem Meer aus Intensität und Abstufung, wird das malerische Gewebe dieser visuellen Struktur sichtbar.

In der Anhäufung und im Zusammenprall der Muster wird die Aufmerksamkeit des Betrachters intensiviert und sowohl auf ihren attributiven Wert als auch auf das (anwesende oder abwesende) Sein des Trägers gerichtet. Daher geht in den Arbeiten des Künstlers die Variation der Kleidung zwangsläufig mit einer Variation der Welt einher. Auf der einen Seite nimmt der Rezipient Formen, Stoffe, Farben wahr – in Kategorien geordnet: florale, geometrische, abstrakte und animalische Muster als domestizierter (Großstadt)Dschungel. Auf der anderen Seite liest der Betrachter Situationen, Interaktionen und psycho-„logische“ Zustände.

Über die vestimentären Zeichen den malerischen Diskurs der Arbeiten zu verstehen, meint jedes Zeichen nicht nur durch seine Herkunft, sondern auch aus seiner Umgebung ein „Sein“ gewinnen zu lassen. Dergestalt treten dann auf der Malfläche gestreifte Baumwolle oder kariertes Polyester zu getupfter Seide in Opposition, aber auch der zart angedeutete anwesende oder die Spur des abwesenden Körpers erstellen ein künstlerisches System aus Verweisen und Oppositionen, das die Interpretation des Rezipienten lenkt. Somit sprechen die Arbeiten von Jochen Twelker nicht von einer prosaischen Ansammlungen realer Gegenstände, wie Hemden, Blusen und T-Shirts, sondern sie generieren ein Geflecht vestimentärer Züge, die zu einem eigenen künstlerischen Bedeutungssystem zusammengeschlossen sind, in dem es keine hierarchische Ordnung von Wesentlichem und Accessoire mehr gibt. Alles verdichtet sich in ein gleichmäßig Hervorgehobenes, oftmals die gesamte Bildfläche Überdeckendes – in der Art und Weise eines All-Over-Prinzips. In diesem Sinne scheint die Betonung der Details, der charakteristischen Muster geradezu ihre Existenz zu steigern und damit auf eine Metaebene zu transzendieren. Über das manchmal erst auf den zweiten Blick Gewahrwerden der Paßform, das heißt, über das Verstehen, daß es sich in den Arbeiten nicht um abstrakte Bildsprachen oder dekorative Rapports handelt, sondern um zarte, harte, kunstvoll geknickte oder nachlässig hingeworfene, aber immer signifikante, Falten werfende Kleidungsstücke, wird der Übergang zwischen Materie und Form, zwischen abstrakter Formation und konkreter Repräsentation von Welt - und mithin ein grundlegendes Problem der Malerei - thematisiert.

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Gefährliche Liebschaften

 

mit Texten von Elke Keiper und Stefanie Kreuzer

Kehrer Verlag, 2005
ISBN 3-936 636-45-1

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