dressed to kill

andreas bee

Dressed to Kill

Dressed To Kill.jpg

Dressed to Kill, 2000 210 x 180 cm, Öl auf Leinwand

Manch flüchtigem Betrachter mögen die Bilder von Jochen Twelker zunächst ohne jegliche gegenständliche Anspielung erscheinen. Nicht selten wirken sie bei einer ersten Begegnung wie stimmungsvolle Malereien, die einen bestimmten Farbklang, ein eindringliches Wechselspiel von Harmonien und Kontrasten mit verschiedenen Instrumenten und in unterschiedlichen Tonlagen erproben. In diesem nuancenreichen Spiel der Farbfolgen könnten sich die fein ausbalancierten Kompositionen durchaus genügen, doch stets stört irgend etwas den gleichmäßig pulsierenden Rhythmus und sorgt für Unruhe. Da strauchelt der über die Fläche schweifende Blick früher oder später und das eben noch im Wohlklang der Farbakkorde schwelgende Auge fühlt sich irritiert und besonders von jenen Stellen im Bild angezogen, die der harmonischen Abfolge des Gesamten zuwiderlaufen. Wie ein einziger Webfehler in einem hochwertigen Tuch bereits genügen kann, um den Blick in Irritationen zu verstricken und die Aufmerksamkeit vom kunstvollen Rapport der Bindung abzulenken, so verdichtet sich bei genauerer Betrachtung das anfänglich breit erscheinende Spektrum von Möglichkeiten zu einer sehr speziellen inhaltlichen Ausrichtung. Plötzlich ist eine Linie nicht länger nur Linie um ihrer selbst willen und eine Kurvatur nicht mehr bloß Kurvatur. Plötzlich öffnet sich die vordem zweidimensional erscheinende Farbtextur dem illusionistischen Raum und wölbt sich das gerade noch flächig wirkende Muster zum Bild eines Körpers.

Sanftes Unheil

Sanftes Unheil.jpg

Sanftes Unheil, 1997 200 x 180, Öl auf Leinwand

Mit einer dichten Folge von horizontalen Farbstreifen fordert beispielsweise “Sanftes Unheil” von 1998 sehr direkt den auf Ordnung erpichten Blick heraus (Abb. … ). Zuerst unterscheidet das Auge zwischen dem helleren oberen und dem dunkleren unteren Bildteil. In der helleren Bildhälfte gliedern zwei blaue und zwei rote Streifen das Feld der Farbfolgen in gleichwertige Kompartimente. Von der Mitte an verschatten sich die vordem lichten Töne stark, um schließlich im unteren Bilddrittel wieder leicht aufzuklaren. Innerhalb der Partien, die durch verwandte Farbtemperaturen zusammengehalten werden, lassen sich nach einem wiederkehrenden Schema verschiedene Dreiergruppen bestimmen. In ihnen dominiert nicht selten eine bestimmte Farbader, vergleichbar vielleicht einem bewegten Fluß, der die ihn umgebende Landschaft prägt. Die parallel zu einem derart dominanten Farbverlauf angesiedelten Uferstreifen begreift man als beigeordnete, als assistierende Komponenten. Geht der Blick von solchen Detailbeobachtungen schließlich wieder zurück zum Ganzen, wird das, was wir eben noch erkannt zu haben glaubten, wieder in Frage gestellt und der Versuch, das An- und Abschwellen der Farbwerte genauer zu bestimmen, beginnt von neuem.

Josef Albers hätte seine wahre Freude an diesem Spiel. Keiner hat wie er die Relativität unserer Farbwahrnehmung zu disziplinieren versucht. Und keiner hat wie er erfahren müssen, daß unser Auge jedesmal neu und unvorbereitet auf die verschiedenen Farbmischungen und Farbkombinationen reagiert. So enttäuschend dieses Ergebnis einem Systematiker auch erscheinen mag, es gehört zweifellos zu den wichtigsten Erkenntnissen seiner grundlegenden und lehrreichen Untersuchungen zu den allgemeinen Wechselwirkungen der Farben.

Aber um was geht es in “Sanftes Unheil”? Der Versuch, das Bild in der Tradition von Josef Albers’ “Interaction of Color” zu verstehen und ganz allgemein das kalkulierte Spiel der Farben, das Raffinement der Intervalle, das Problem der Farbgrenzen, ihrer Durchdringung und ihrer unzähligen Variationsmöglichkeiten zu bedenken, befriedigt auf Dauer nicht wirklich. Reicht eine Arbeit nicht aus, um das bildnerische Denken deutlich zu machen, zieht man eine weitere hinzu. Nimmt der Betrachter sich gar eine Reihe von Twelkers Bildern vor, so ist auffällig, daß die Abfolge des Gesamtmusters stets an der einen oder anderen Stelle gebrochen wird - wie die Wellen eines Echolots, die auf einen Widerstand stoßen. In dem Bild “Die große Schwester” von 1996 (Abb. S. …) beispielsweise stören vertikal verlaufende Strukturen nicht weit vom rechten und linken Bildrand deutlich das System der horizontalen Farbfolgen. Vergleichbar den durch starke, untergründige Bewegungen hervorgerufenen Verwerfungen in der gleichmäßig strukturierten Erdkruste bricht sich an diesen Stellen der Oberflächencharakter. Und es sind gerade diese als Faltungen, Einschnürungen oder Strukturverschiebungen zu begreifenden Abweichungen im Verlauf der Farbmuster, die das Gemalte entschlüsseln und an die gegenständliche Erfahrungswelt des Betrachters anknüpfen. Unterstützt durch das An- und Abschwellen der beleuchteten und verschatteten Partien wird hinter den Farbverläufen die plastische Formung eines weiblichen Oberkörpers in ungewohnt starker Close-Up-Wirkung erkennbar. In “Sanftes Unheil” gelingt die Andeutung einer Brustpartie allein durch die subtil geschwungenen Horizontalstreifen in Verbindung mit der Modulation des Lichtes. Der Vergleich mit ähnlichen Entwürfen erklärt die zu den Rändern hin ansteigenden Bewegungen als Hinweise auf die plastische Ausdehnung eines Körpers im Raum.

Hat der Betrachter erst einmal diese Chiffren zu lesen gelernt, ist Twelkers Malerei stets mehr als ein selbstgenügsamer Exkurs im Bereich der Farben. Sie ist Abbild modischer Streifenmuster etwa, dünner Pullover möglicherweise, die in ihrer Buntfarbigkeit auf die Mode der frühen 70er Jahre, auf eine durch Op-Art und Flower-Power bestimmte Vorstellungswelt zurückverweisen. Ähnlich wie das modische Revival unserer Tage leicht und spielerisch ein bekanntes Thema aufnimmt, variiert und im Bewußtsein um seine Historizität gleichzeitig wieder bricht, behaupten sich Twelkers Bilder durch ihre eigentümliche Mischung aus ernsthafter Leidenschaftlichkeit und sinnlich-erotischem Witz neben künstlerischen Vorläufern der Op-Art und des Nachkriegskonstruktivismus, wie sie etwa durch Victor Vasarely und Günter Fruhtrunk repräsentiert werden. Während der eine sich allmählich in modischen Attitüden und folkloristischer Manier verlor, hielt der andere im Glauben an eine rezeptive Gesellschaft an einem allzu strengen Kalkül fest und wurde zum hochgeschätzten, aber einsamen Vertreter einer geistigen Richtung, die keine Nachfolger fand. Twelker verfällt in keines dieser Extreme. Er bleibt äußerst flexibel und bestimmt seinen Kurs zwischen Szylla und Charybdis immer wieder aus neue. Und wenn nicht alles täuscht, fühlt er sich zwischen den Stühlen pudelwohl. Manchmal scheint es, als suche er geradezu die Herausforderung mit seinen Nachbarn und den bekannten Platzhaltern anerkannter Positionen. So kommen einige seiner Bilder dem einen oder anderen Lager provozierend nahe, um sich dann doch noch, gleichsam im letzten Moment, mit einer kecken und äußerst geschmeidigen Drehung um ihre eigene Achse lustvoll der drohenden Vereinnahmung zu entziehen. Twelker profitiert vom abstrakten Expressionismus wie von der konkreten Malerei gleichermaßen und findet im unbesetzten Niemandsland zwischen den kunstgeschichtlich markierten Positionen sein eigenes Terrain.

Thelma und Louise

thelmalouise.jpg

Thelma und Louise

Die den Bildern beigegebenen Titel gehören, wie die poetischen Bezeichnungen in den Werken Paul Klees, auch bei Twelker untrennbar zum Werk. Konnte der Betrachter “Sanftes Unheil” oder “Die große Schwester” noch in einer profanen Erlebniswelt orten, so sind “Thelma” und “Louise” (Abb … ) als Titel, als Begriff und als Malerei weitaus empfänglicher für Assoziationen und interpretatorische Spekulationen. Natürlich kann jede Arbeit für sich allein gesehen und verstanden werden, aber im Zusammenklang der Namen wird die Erinnerung an einen populären Film aus dem Jahre 1991 wach. Zwei lebenshungrige Frauen, Thelma und Louise, drehen in dieser Mischung aus Roadmovie, Actionfilm und Krimi das traditionelle Verhaltensmuster um: Die früher so schwachen Frauen werden um so stärker, je mehr sie sich männlicher Verhaltensweisen bedienen. Durch den Vergleich mit anderen Bildbezeichnungen wie “Die Geheimagentin”, “Tote tragen keine Karos” und “Tatort” zeigt sich, daß Twelker offenbar dem Erzählerischen, namentlich dem spannungsgeladenen Kriminalfilm, stimulierende Aspekte abzugewinnen vermag. Und wie ein Film und Roman dieses Genres nur gelingt, wenn es der Autor versteht, den Spannungsbogen der Handlung vom ersten bis zum letzten Abschnitt aufrechtzuerhalten, kann ein Bild nur dann als geglückt bezeichnet werden, wenn es sich nicht in einer speziellen Idee, einem Clou oder einer alles erklärenden Lösung erschöpft. Dazu muß es gleichzeitig bestimmend und offen sein, eindeutig und rätselhaft. Denn am Ende macht erst der gelungene Balanceakt von Inhalt, Form und Farbe die Plausibilität eines Kunstwerkes aus.

Johannes Itten, durch dessen Werk und Lehre jede jüngere Reflexion über die Farbe immer noch mehr oder weniger stark beeinflußt wird, war mit seiner Überzeugung, daß bestimmten Formen und sogar bestimmten Charakteren eine spezielle Farbharmonie zugeordnet werden kann, in seiner Zeit kein Einzelgänger. Zahlreiche Experimente in den 20er und 30er Jahren durch Josef Albers, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Paul Klee und andere zeugen von verwandten Vorstellungen. Ebenso war das synästhetische Empfinden von Klang und Farbe ein in jenen Jahren vielerorts erforschtes Wahrnehmungsfeld. In Anlehnung an diese etwas in Vergessenheit geratene Tradition einer engen Verknüpfung von Farbe, Form und Wirklichkeit könnte der Betrachter bei den Bildern “Thelma” und “Louise” aufgrund der Farbanteile und ihrer Anordnung auf der Fläche auf die Idee verfallen, hier habe er, neben allem anderen, auch noch das Psychogramm eines ironischen, nichtsdestotrotz optimistischen Künstlers vor Augen. Natürlich sind derartige Interpretationsansätze nur mit Skepsis zu genießen und am Ende meistens nicht wirklich tragfähig, aber - und das macht sie wertvoll - sie sind durchaus anregend und geeignet, eingefahrene Sehgewohnheiten aufzumischen und die Phantasie zu beflügeln.

In ihrer Körperlichkeit sind “Thelma” und “Louise” eher flüchtig als präsent. Für einen kurzen Augenblick meint der Betrachter vielleicht eine verbindliche Form erkannt zu haben, doch schon entgleitet sie ihm wieder - ähnlich einem Vexierbild. Zumeist sehen wir wie durch ein Fenster in einen unbestimmten, hell pulsierenden Kosmos voll schwebender Farbteilchen. Einzellern verwandt bevölkern sie den Raum, verschwinden hinter den hart gesetzten Bildgrenzen, drehen sich und taumeln in der Tiefe, atmen scheinbar, flimmern und zittern in ihren Grenzen, drücken gleichsam unterschiedliche Befindlichkeiten oder Temperaturen durch ihren Farbton aus. So verstanden sind “Thelma” und “Louise” überall und nirgendwo. Vor allem - und das entspricht ihrer Bestimmung - sind sie ständig in Bewegung und deshalb nicht festlegbar auf eine offensichtliche, eindeutige Identität.

Nina

Das_Dingsbumskueken.jpg

Auch die Figur im Bild “Tote tragen keine Karos” bleibt als Person mysteriös. Die extreme Auflösung des Bildes in Quadrate erinnert an den digitalen Bildaufbau eines Computerbildschirms. Die Fläche und der in sie eingearbeitete Körper wurde aus dem gleichen Formmodul gestaltet. Erst die Verformung und Verdichtung des Musters führt zur Differenzierung von Körper und Raum. Gesteigert wird die eigenartige Verflechtung im Bereich des Kopfes, wo ein flächiges Muster aus Quadraten die Kopfpartie überlagert und jede Möglichkeit der Identifizierung des Toten zu verhindern sucht. Was bei der Veröffentlichung eines Beweisfotos aus einem kriminalistischen Fall aus Gründen des Personenschutzes einen Sinn macht, wirkt im Falle dieser Malerei eher wie ein (willkommener) Vorwand zur Durchgestaltung des komplizierten Bildes. Erneut haben wir es mit einem Beispiel für die freie bildnerische Umsetzung aufgenommener Wirklichkeit zu tun. Twelker nutzt auch hier das Potential des Vorhandenen genauso wie die Möglichkeit, ein Bild zu erfinden. Im Nachvollzug dieses ambivalenten Entstehungsprozesses könnte der Betrachter sich dabei ertappen, wie er farbig gemusterte Hemden, Blusen, Pullover und die sie formenden Körper studiert und in brauchbare oder weniger brauchbare Bildentwürfe unterteilt. Die Fotografie auf dem Umschlag dieses Kataloges, die eine junge Frau vor einem Buchobjekt von Franz Erhard Walter zeigt, gibt einen Hinweis darauf, welche Anregungen der Alltag für neugierige Augen bereithält. Läßt der Betrachter sich auf dieses Wechselspiel von Bild und Realität ein, entdeckt er auch im Banalen Schönheit und Sinn, findet er sich bald in einer “verkehrten” Welt wieder. In dieser wird für ihn - wie für den Künstler - vieles zur Form und diese Form zum Inhalt.

In Twelkers Interesse am Übergang von Gegenständlichkeit und Abstraktion läßt sich eine Geistesverwandtschaft mit Paul Klee unterstellen. Dessen überzeugendsten Arbeiten sind im Grenzgebiet zwischen Abstraktionen von Motiven aus der sichtbaren Welt und völlig ungegenständlichen, mit rein bildnerischen Mitteln gebauten Werken entstanden. Bei Klee konnte ein Naturerlebnis Anlaß zu einer abstrakten Malerei sein, ebenso wie ein abstrakter Entwurf sich manchmal mühelos mit Wirklichkeitserfahrungen verknüpfen ließ. Vergleichbar den berühmten Quadratbildern des Bauhausmeisters aus den Jahren 1918 bis 1925 erzielt Twelker in “Tote tragen keine Karos” (Abb. … ) die formale Spannung durch die Kontrastierung hell und dunkel klingender Quadrate in einem mitteltonigen Fond.

Die Wirkung von Twelkers Bilder läßt sich mit Worten nur schwer bestimmen. Am Schluß ist gut beraten, wer den Werken empfindsam und intellektuell begegnet, wie einer Musik. Nicht von ungefähr kommen wir bei der Beschreibung von Malerei immer wieder auf diesen Vergleich zurück. Denn hier wie dort finden wir Gesetzmäßigkeit, Vernunft und Magie. Musik ist nicht als statisches System zu erfassen, und analog hierzu kann es hilfreich sein, sich das System der Farben als ein Konzept der Bewegung vorzustellen. Für Klee wurde erst im Erklingen und Verklingen der “Kanon der farbigen Totalität” verständlich. “Jede Farbe beginnt aus ihrem Nichts, (...), erst ganz leise und steigert sich zum Gipfel (“Crescendo”), um von da an langsam wieder in ihr Nichts zu verklingen (“Diminuendo”). (...) Kanonartig setzen die Stimmen hintereinander ein.” Parallel zu dieser Vorstellung ist in Twelkers Bildern der Einsatz der Farben zu begreifen als eine Bewegung vom Lauten zum Leisen, vom Hellen zum Dunklen, vom Warmen zum Kalten, kurz: als zielgerichtetes Wechselspiel von Formen und Farben im Raum.

Kat-Bee.jpg

Dressed to Kill

 

Text von Andreas Bee